Es ist Ende April. Die Sonne steht nun wieder hoch am Himmel und im Flachland ist der Winter fast vorbei. Doch hier, in den Bergen Schwedisch-Lapplands, spürst du noch seinen eisigen Atem. Wir brechen auf zu unserer letzten Tour des Winters. Nach 20 Wochen “Tourgeschäft” mit unseren Gästen, die uns quer durch die Berge Lapplands geführt haben, endlich Urlaub. Und den verbringen wir…natürlich im schwedischen Fjäll. Wir bekommen einfach nicht genug von dieser einmaligen, herrlichen Landschaft am Rande der Arktis.
Unsere kleine Expedition startet mit Hindernissen. Ein Schneesturm mit sehr warmen Temperaturen zwingt uns, in der Berghütte in Aktse “abzuwettern”. Aber nach zwei Tagen kann es endlich losgehen. Die Ski sind gewachst und die Pulkas beladen. Wir wollen den Sarek-Nationalpark durchqueren, auf einer etwas ungewöhnlichen und einsamen Route: wir wollen das Rapadalen hinauf, durch das Sarvesvagge nach Westen und dann zurück durch das Tal Njatsosvagge am Pårek-Gletscher vorbei nach Kvikkjokk.
Wir laufen hinein ins weltbekannte Delta des Flusses Rapaädno, vorbei an der spektakulären Steilwand des Skierfe, den Blick immer auf den großen “Dunderklumpen” gerichtet: der Berg Nammasj steht wie ein “Fels in der Brandung” mitten im Fluß.
Immer noch haben wir ein paar Bedenken wegen der Eisverhältnisse. Auch die Informationen von Freunden aus Kvikkjokk haben daran nichts geändert. Der Winter war recht warm, mit starken Temperaturschwankungen. Hält das Flußeis noch, kommen wir durch? Schließlich ist es schon Ende April.
Auf dem Unterlauf des Rapaädno wird es manchmal kritisch mit dem Eis. Wir müssen den Fluß recht häufig queren, um offenem Wasser, das durch die einsetzende Schneeschmelze schon eine recht starke Fließgeschwindigkeit hat, auszuweichen. Das bedeutet, steile Uferböschungen runter, Schneebrücken finden, deren Halt testen, steile Flußufer wieder rauf. So geht es den ganzen Tag durch ein Labyrinth von Flußarmen, in dem man leicht die Übersicht verlieren kann.
Kurz hinter der Hütte Litnokstugan wäre die Tour fast zu Ende gewesen, der Fluß ist nahezu komplett ohne Eis oder Schnee. Nach langem Suchen finden wir endlich eine Stelle, die sicher zu sein scheint. Mit angehaltenem Atem “schummeln” wir uns über die dünne, schmale Schneebrücke, mit den Stöcken prüfen wir immer wieder, ob sie unser Gewicht und das der schweren Pulka hält. Wir kommen ohne nasse Füsse rüber und auch die restliche Ausrüstung, vor allem die Schlafsäcke bleiben trocken.
Nach 17 km und den vielen Flußquerungen, die volle Konzentration erfordern, sind wir müde und vor allem hungrig. Unser Lager ist schnell aufgeschlagen, wir finden einen schönen Platz im Wald, direkt an einem kleinen Flußarm.
Am nächsten Morgen werde ich von “Glockengeläut” geweckt. Rahel fühlt sich in diesen Bergen fast wie zu Hause in der Schweiz. Mit einigen Schneeheringen in der Hand läuft sie ums Zelt und läutet, es klingt fast wie Kuhglocken auf der Alm. Es wird Zeit, daß sie endlich Urlaub in der Heimat machen kann.
Beim Kaffee kochen dann der Schreck: der Deckel vom großen Topf ist weg, nirgends zu finden. Blöd, daß ich die Kochutensilien gestern abend nicht mehr weggeräumt habe. Starker Wind kam über Nacht auf und unser Deckel scheint davon geflogen zu sein. Das wäre wirklich schlecht, wir brauchen den großen Topf, um genügend Schnee für unsere Trinkwasser zu schmelzen und ohne Deckel verbrauchen wir deutlich mehr Brennstoff. Zu trinken ist hier draußen, auch im Winter, extrem wichtig. Auf dieser anstrengenden Tour würden wir ohne ausreichend Flüssigkeit sehr schnell an Leistungsfähigkeit verlieren.
Also, rauf auf die Ski und den Deckel suchen. Wir laufen die gesamte Umgebung ab, leider ohne Erfolg. Wir werden mit dem kleinen Topf auskommen müssen, zum Glück haben wir den noch dabei. Doch ist der deckel wieder da. Er war an der Unterseite der Tasche mit den Kochutensilien, die ich zum Beschweren auf den Topf gelegt hatte, festgefroren. Alle Aufregung umsonst, trotzdem peinlich und ich muss mir rahels spott gefallen lassen. Dumm gelaufen.
Wir brechen auf. Der Wind ist nach wie vor sehr stark und bläst uns direkt ins Gesicht, besonders hart auf dem ungeschützten Flußlauf.
Im Laufe des Tages steigen die Temperaturen und der Wind schläft ein. Der Schnee wird immer schlechter und beginnt unter unseren Ski und Pulkas zu kleben. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorstehen wird. Immer wieder müssen wir stehen bleiben und die Ausrüstung von Schnee und Eis befreien.
Wir passieren die markanten “Spadnek-Berge”, hinter denen sich das Tal weit öffnet und den Blick ins Herz des Sareks freigibt.
Immer wieder müssen offenem Wasser ausweichen, den Fluß überqueren und aufs Ufer ausweichen. Aber an einigen Stellen ist die Böschung so steil, daß wir einfach nicht hochkommen. Es bleibt uns nichts anderes übrig als auf dem Fluß zu bleiben und den schmalen Streifen zwischen Wasser und Ufer nutzen, um durchzukommen. Die schwere Pulka kippt immer wieder um und rutscht in den offenen Fluß. Doch wir kommen durch.
In einer Pause der nächste Aufreger: der wieder auffrischende Wind trägt Rahels Überhandschuh, der auf der Pulka liegt, einfach davon. Der Handschuh “flattert” im Wind und bleibt etwa 10 m weiter auf dem Eis des Flusses liegen. Alles ging so schnell. Der Verlust der Handschuhe wäre wirklich eine Katastrophe. Es gibt keine Alternative, wir müssen auf das trügerische Flußeis hinaus. Zum Glück ist es für diesen Moment windstill und das Eis dick genug. Alles nochmal gut gegangen.
Langsam kommt die Steilwand des Stuor Skårki-Massivs in Sicht, und “massiv” ist hier alles: die Natur und auch die Stille. Ein überwältigender Anblick, hohe, schroffe Gipfel bilden einen Rahmen für das Rapaselet, das am Fuß dieser Berge beginnt. Der Fluß wird sehr breit, verzweigt sich in viele kleine Arme, eine riesig breite Schneefläche. Wir sind klein hier, überwältigt, fast eingeschüchtert.
Seitentäler öffnen sich, mächtige, tiefe Schluchten, in denen im Sommer die Wassermassen der Gletscher zu Tal rauschen. Doch jetzt ist alles still, keine Geräusche um uns herum, nur der Wind ist zu hören.
Für heute sind wir genug gelaufen und suchen einen Platz am Rande eines Flußarmes. Im “Schatten” eines kleinen Birkenwäldchens schlagen wir das Lager auf, sicher vor eventuellen Lawinen, die im Frühjahr hier häufig abgehen können. Gegenüber liegt die Wand des Skårki.
Der Wind wird noch stärker und es beginnt zu schneien. Zum Abendessen gibt es Kartoffelbrei mit Speck und Käsesoße, zwei Portionen für jeden, und als Dessert starken Kaffee und Schokolade.
Über Nacht fallen etwa 20 cm Neuschnee. Bei minus 3 Grad bauen wir das Lager ab. Der nasse, warme Pappschnee muß runter vom Zelt, sonst wird alles naß. Wir ahnen schon, was der Tag bringen wird.
Heute wollen wir das Ende des Rapaselets erreichen und ins Tal Sarvesvagge aufsteigen. Aber dort sind wir noch lange nicht. Der Schnee ist so warm, daß wir kaum vorankommen. Wir laufen im Shirt, fast könnte man die kurzen Hosen anziehen. Eine echte Quälerei. Da sind mir die kalten Tage mit knackigem Frost viel lieber. Aber es nützt nichts. Wir erreichen die Mündung des Sarvessjåhkkå. Hier beginnt das Sarvesvagge und ab jetzt geht es nur noch bergauf, immer dem Sarvesjåhkkå folgend. Doch zuvor müssen wir noch das Mündungsdelta des Flusses überwinden.
Hier ist das Eis, im Gegensatz zum breiten Rapaselet wieder dünner. Der Fluß ist teilweise offen und fließt schnell. Zum Glück gibt es ein paar Schneebrücken, auf denen wir sicher hinüber kommen.
Wir schwitzen, die Sonne ist unerbittlich und die Abstände zwischen den Wachspausen werden immer kürzer. Genug für heute. Nach einer erneuten Flußquerung finden wir einen schönen Platz am Ufer, an dem wir nach 10 Tageskilometern übernachten. Wir können die nassen Zelte und Kleider trocknen und in der Sonne den Blick auf die Berge ringsum genießen.
Morgen müssen wir früher aufbrechen, um der Nachmittagssonne zu entgehen und das gesamte Sarvesvagge zu durchqueren.
Der nächste Tag bringt schlechteres Wetter. Keine Sicht, Wind, fast ein Whiteout.
Wir beeilen uns mit dem Frühstück und stehen schnell auf den Ski. Noch wissen wir nicht, was uns im Tal erwarten wird. Einige Teile des Sarvesvagge können lawinengefährdet sein und starker Wind ist keine Seltenheit.
Langsam kämpfen wir uns vorwärts und steigen höher und höher. Das Tal ist völlig unberührt, hier war seit langem kein Mensch mehr.
Im Laufe des Vormittags wird das Wetter besser. Die Sonne kommt und strahlt hoch über uns vom Himmel. Vom Wind keine Spur.
Ab jetzt haben wir echt “Spaß”. Der Schnee wird immer schlechter. Dicke Schneeklumpen legen sich vor die Pulkas und blockieren sie. Ski abschnallen, Pappschnee abkratzen, Unterseite der Pulka säubern, wachsen, weiter.
Wir laufen und laufen den ganzen Tag. Beim Vorspuren wechseln wir uns ab. die Oberschenkel brennen fast so stark, wie die Sonne vom Himmel.
Es scheint, als nähme das Tal kein Ende. Uns kommt Börge Ousland in den Sinn, der bekannte Polarabenteurer aus Norwegen: Wenn du nur oft genug einen Fuß vor den anderen setzt, kommst du irgendwann ans Ziel. Am Pol sind wir zwar nicht, aber anstrengend ist es auch.
Endlich sehen wir in der Ferne das Ende des Tals. Die Landschaft öffnet sich und wir finden einen Platz zum Zelten.
In herrlichstem Sonnenschein bauen wir das Lager auf. Es gibt ein schnelles Abendessen. Wir sind müde und verkriechen uns bald ins Zelt. Der Himmel ist klar. Nach Sonnenuntergang wird es schnell kalt, minus 24 grad.
In der Nacht schleicht ein Tier ums Lager und weckt uns auf. Am Morgen sehen wir die Spuren eines Vielfraßes, so nah wie es sich nachts angehört hat, hat er sich dann doch nicht herangetraut. Zum Glück, denn mit den agressiven Tieren ist nicht zu spassen. Man sagt, sie gehen sogar auf Bären los, wenn sie ihr Futter verteidigen.
Der Tag beginnt, wie der gestrige aufgehört hat: die Sonne lacht.
Wir stehen spät auf, denn heute haben wir keine feste Strecke zurück zu legen und nach der kalten Nacht ist der Schnee wieder viel besser. Wir wollen heute die Grenze zum Padjelanta-Nationalpark erreichen und südwärts laufen. Ein paar Rentiere kreuzen unseren Weg, die ersten Lebewesen seit langem, die wir zu Gesicht bekommen. Bald kommen wir an ein Rentiergatter, in dem die samischen Rentierzüchter ihre Herden einfangen.
Wir kommen gut voran und kreuzen den Eingang zum Tal Njatsosvagge, in dem wir eigentlich zurück gehen wollten. Aber die Schneebedingungen sind insgesamt zu schlecht. Auch das Vallivagge, als Alternativroute etwas weiter südlich, ist nicht passierbar. Uns bleibt nur, auf dem Padjelantaleden zurück zu laufen. Den im Sommer beliebten Weitwanderweg erreichen wir am frühen Nachmittag und die Hütten von Taraluoppal kommen in Sicht. Hier endet unsere kleine expedition etwas früher als gedplant. Der Rückweg nach Kvikkjokk nimmt dann noch 2 Tage in Anspruch, die wir in herrlichstem Sonnenschein genießen können.
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